Glyphosat: Nur die Spitze des Eisbergs

 

Jean Feyder ist Schriftsteller und Mitarbeiter bei verschiedenen NGO’s. Er war 1998- 2005 Direktor für Entwicklungszusammenarbeit und 2005-2012 Botschafter und ständiger Vertreter Luxemburgs in Genf bei der UNO und der internationalen Handelsorganisation (WTO).

 

Von: Jean Feyder

Publikation 25-10-2017

Der Skandal um das Pestizid Glyphosat vertieft eine seit langem bestehende Vertrauenskrise in das europäische System der Bewertung von Gesundheits- und Umweltrisiken.

»Wahrscheinlich krebserregend« sei das Pflanzenschutzmittel Glyphosat. Das war im März 2015 das Ergebnis der Weltgesundheitsorganisation (WHO), genauer, ihrer Krebsforschungsagentur, der International Agency for Research on Cancer (IARC).

Ein halbes Jahr später, im November 2015, wurde das „wahrscheinlich“ plötzlich zu einem »unwahrscheinlich«. Zumindest, wenn man der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) glaubte.

Zwei Jahre später, im März 2017, erschien ein neues Gutachten. Diesmal von der Europäischen Agentur für chemische Produkte (ECHA). Auch sie kam zur Erkenntnis, dass Glyphosat nicht krebserregend oder mutagen sei.

Seit kurzem nun glaubt man der EFSA und der ECHA gar nichts mehr. Das liegt an unabhängigen Experten, die vor einem gemeinsamen Umwelt- und Agrarausschuss des Europaparlamentes zu Glyphosat-Studien angehört wurden. Die Experten stellten klar, dass die zuständigen EU-Behörden EFSA und ECHA ihre Gutachten in weiten Teilen vom Agrarkonzern Monsanto abgeschrieben haben. Ein Skandal, der in der EU nur die Spitze des Eisberges sein dürfte.

Zur Erinnerung: EFSA und ECHA beraten die Europäische Kommission, die sich in ihren Vorschlägen zu Normen im Nahrungsmittel- oder GVO-Bereich stets auf die Stellungnahmen dieser Agenturen beruft.

Monsanto selbst weigerte sich, an dieser Sitzung teilzunehmen. Daraufhin wurde dem Monsanto-Konzern, den Bayer übernehmen möchte, der Zugang zum Europarlament verweigert.

Die Zulassung von Glyphosat zum EU-Markt läuft Ende dieses Jahres ab. Die EU-Kommission hat eine Verlängerung von 10 Jahren vorgeschlagen, ein Vorschlag, über den die EU-Staaten in Kürze zu beraten haben. Frankreich, Italien und Österreich haben angekündigt gegen diesen Vorschlag zu stimmen. Würde auch Deutschland ablehnen, wäre der Vorschlag vom Tisch.

Anfang Februar 2017 hatte eine breite Koalition von europäischen Nichtregierungsorganisationen die Europäische Bürgerinitiative (EBI) für ein Verbot des Herbizids Glyphosat gestartet. Die EBI wurde von 38 Organisationen in 15 Ländern unterstützt. Die Umwelt- und Gesundheitsschutzorganisationen forderten die Europäische Kommission auf, Glyphosat zu verbieten, das Pestizid-Genehmigungsverfahren zu reformieren und verbindliche Reduktionsziele für die Verwendung von Pestiziden in der EU festzulegen.

Die Monsanto Leaks

Ein neues Element wurde im März 2017 über Enthüllungen durch die US-Justiz in die Debatte eingebracht. Sie hatte 250 Seiten interne Dokumente von Monsanto zur Veröffentlichung freigegeben. Dies geschah im Rahmen eines Gerichtsverfahrens, das in Folge einer kollektiven Klage eingeleitet wurde, die Hunderte von landwirtschaftlichen Arbeitern in Kalifornien gegen Monsanto eingereicht hatten. Sie litten unter Blutkrebs nachdem sie bei ihrer Arbeit mit Glyphosat in Kontakt gekommen waren.

Die Dokumente zeigen, dass sich Monsanto bereits 1999 recht besorgt über das mutagene Potential und über mögliche Gentoxität von Glyphosat zeigte. Der Konzern hatte auch auf ein stilles Einverständnis mit der Umweltschutzagentur (EPA) zählen können. Auch das James Parry, in den USA anerkannt als einer der Päpste in Sachen Gentoxität, seine Bedenken zu Glyphosat in einem Bericht an Monsanto zum Ausdruck gebracht hatte, ist den Dokumenten zu entnehmen. Monsanto hatte den Bericht nie veröffentlicht.

In Kalifornien hat ein Gericht eine Klage Monsantos gegen die dortige Agentur für gesundheitliche Sicherheit (Office of Environmental Health Hazard Assessment) abgewiesen, da diese die Etikettierung von Produkten vorschrieb, die mit Glyphosateinsatz produziert wurden und möglicherweise krebserregend seien.

Wissenschaftlicher Betrug und die Frage der Unabhängigkeit der EU-Experten

Die Anhörungen im EU-Parlament über die Beurteilung von Glyphosat vertiefen lediglich eine seit langem bestehende Vertrauenskrise in das europäische System der Bewertung und Einschätzung von Gesundheits- und Umweltrisiken. Anfang 2016 hatte der europäische Ombudsmann die Laxheit der Kommission in Sachen Zulassung von Pestiziden scharf verurteilt.

Wie kommt es zu dieser unterschiedlichen Bewertung von Glyphosat?

Die Einschätzung der EFSA beruhte auf einer Bewertung, die das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) im Auftrag der EU vorgenommen hat. Die Einschätzung des BfR, dass der Pestizidwirkstoff nicht humantoxisch sei, basiert, so die Meinung mehrerer deutscher Verbände, fast ausschließlich auf Studien, die von Glyphosat-produzierenden Unternehmen selbst durchgeführt oder in Auftrag gegeben wurden.

Die IARC der WHO hingegen hat etwa tausend Studien aus der wissenschaftlichen Literatur berücksichtigt. Dem BfR wurde vorgeworfen, die industriefreundlichen Kriterien für die Bewertung von Glyphosat-Studien heranzuziehen und die notwendige kritische Distanz zu den Pestizidherstellern vermissen zu lassen. Auch der EU-Pestizidgesetzgebung wird vorgehalten, ganz auf die Bedürfnisse der Hersteller, die ihren Wirkstoff auf den Markt bringen wollen, zugeschnitten zu sein. Dass im EU-Parlament nun klargestellt wurde, dass die zuständigen EU-Behörden EFSA und ECHA ihre Gutachten in weiten Teilen von Monsanto abgeschrieben haben, macht die Sache nur schlimmer.

Der Spiegel (41/2017) berichtete von dem Plagiatsprüfer Stefan Weber, der in Berlin ein vernichtendes Gutachten vorlegte: Das BfR, so der Spiegel in Berufung auf Werner, »habe in seinem Bericht Passagen aus anderen Studien teils wörtlich übernommen und deren Herkunft bewusst verschleiert. Es ist offensichtlich, dass die BfR keine eigenständige Bewertung der zitierten Studien vorgenommen hat.« Ganz offensichtlich liegt hier wissenschaftlicher Betrug vor.

Mehrere NGOs kritisierten die Gutachten von EFSA und ECHA scharf. Insbesondere prangerten sie den Interessenkonflikt unter den für die Risikobewertung zuständigen Experten an.

Die NGOs können sich dabei auf José Bové berufen. Der grüne EU-Parlamentarier hatte bereits vor einigen Jahren Verbindungen mehrerer Mitglieder der EFSA mit Industrieverbänden aufgedeckt. Unter anderem hatte Diana Banati, die Präsidentin der Behörde, einen offenen Interessenkonflikt, da sie zur gleicher Zeit im Aufsichtsrat der ILSI (International Life Science Institute) saß. ILSI ist ein Lobby-Institut, das 1978 von großen Konzernen wie Coca-Cola, Heinz, Kraft, General Foods, Procter&Gamble, Danone, Mars, McDonald’s, Kellogg’s, Monsanto, Dupont und Novartis gegründet wurde. Kurz danach gab Diana Banati ihre Präsidentschaft bei EFSA auf, um den Direktorenposten bei ILSA-Europa zu übernehmen.

Vor einem Jahr fand in Den Haag das Internationale Monsanto-Tribunal statt. Das aus fünf Richtern bestehende Tribunal unter der Leitung der Belgierin Françoise Tulkens hörte die Aussagen von 24 Opfern des Konzerns und dessen Produkten, von Experten und Anwälten. Im April machten die Richter dann ihre Schlussfolgerungen bekannt: Monsanto verletze mehrere Menschenrechte: das Recht auf eine gesunde Umwelt, das Recht auf Nahrung, das Recht auf  Gesundheit. Auch die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung werde verletzt.

Monsantos Tätigkeiten könnten auch ein Verbrechen des Ökozides darstellen, sollte ein derartiger Tatbestand dereinst im Völkerrecht verankert werden. Über die Anhörungen während des Monsanto-Tribunals drehte Marie-Monique Robin den beeindruckenden Dokumentarfilm »Das Roundup vor seinen Richtern«. Ein Buch mit demselben Titel erschien ebenfalls von Robin.[1]

Will die Kommission unter Jean-Claude Juncker nicht noch mehr Vertrauen der EU-Bürger verspielen, müsste sie dringend Konsequenzen aus all den Enthüllungen ziehen und ein neues, unabhängiges System der Bewertung und Einschätzung der Gesundheit- und Umweltrisiken einführen.


Hinweise

[1] Das französischsprachige Arte-Programm sendete den Film am 17. Oktober. Das Buch »Le Roundup face à ses juges« erscheint beim Verlag La Découverte