„POLITIK MUSS AUCH MAL ETWAS WAGEN“


Die Jamaika-Koalition des Landes Schleswig-Holstein hat im Koalitionsvertrag das Thema “Grundeinkommen” festgehalten. Wie es dazu kam, was daraus werden könnte und wie das Thema auf Bundesebene weitergeht erklärt der Grünen-Politiker Arfst Wagner im Info3-Interview.

Publiziert 7-11-2017

Engagiert sich bei den Grünen für das Thema Grundeinkommen: Arfst Wagner

In der Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein ist das Grundeinkommen als Thema festgeschrieben worden. Wie kam es dazu und was bedeutet das?

Ich war bei den Koalitionsverhandlungen Mitglied der Grünen-Verhandlungsgruppe für Soziales. Wir hatten uns auf harte Kämpfe eingestellt, die wir bereits aus den Verhandlungen mit der SPD kannten, konnten dann überraschenderweise einige strittige Themen rasch klären, weil es auch menschlich zwischen den Parteien stimmte. Denn auch CDU und FDP wissen: Unsere Sozialsysteme, also Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung, fahren in zehn, fünfzehn Jahren gegen die Wand. Ein Loblied auf das Hartz IV-System konnten wir nicht mittragen, die Passage war für uns nicht akzeptabel. Wir haben als Grüne den Standpunkt vertreten, dass wir angesichts der wahren Arbeitslosenzahlen, den zunehmenden unterbrochenen Berufsbiografien und der kommenden digitalen Gesellschaft ein Sozialsystem brauchen, dass diesen Problemstellungen gerecht wird. Wir müssen das Grundeinkommen breit diskutieren. Das Thema ist inzwischen eine öffentliche Debatte, der sich eine Jamaika-Koalition nicht entziehen kann. Die Idee des Grundeinkommens war für keinen am Tisch neu, alle waren interessiert und so entstand der Vorschlag, ein Zukunftslabor für das Grundeinkommen und die Umgestaltung der sozialen Sicherungssysteme zu gründen, was dann in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde. Die Uneinigkeit betraf eigentlich mehr die Bezeichnung: Die FDP wollte es „liberales Bürgergeld“ nennen, die CDU „motivierendes Grundeinkommen“ und wir als Grüne eben „bedingungsloses Grundeinkommen“. Die Einigung bestand dann darin, die drei Adjektive wegzulassen. Das Thema war in zehn Minuten durch. Die Verhandlungen werden bald beginnen.

In den Medien konnte man auch von geplanten Feldversuchen lesen?

Das ist zunächst ein Missverständnis. Man dachte, mit dem Wort „Zukunftslabor“ sei ein Projekt gemeint. Gemeint ist aber eine Arbeitsgruppe, die über zwei Jahre das Thema in der Regierung behandeln soll. Es kann sein, dass ein Pilotprojekt dann das Ergebnis ist. Oder ein Aufschlag in der Enquete-Kommission des Bundestags. Eines der Probleme, das sich dann stellen würde, ist die Frage, wie für ein begrenztes regionales Gebiet das Grundeinkommen auf eine bestehende Steuergesetzgebung aufgesetzt werden kann.

Und was ist dran an Berichten über einen bGE-Versuch in Flensburg?

Dahinter steht, dass sich der SPD-Kreisverband in Flensburg als zweiter Kreisverband der SPD in Deutschland nach Erftstadt überhaupt zum Grundeinkommen bekannt hat – mit dem Vorschlag, einen Modellversuch in Flensburg zu unternehmen. Sie wollen, dass das auch auf Landesebene behandelt wird. Also auch in der SPD kommt das Thema in Bewegung. Von dorther kam dieser Vorschlag.

Innerhalb der Grünen gibt es auch klare bGE-Skeptiker. Wie argumentieren die?

Mit den bekannten Argumenten, die Sache sei nicht finanzierbar, es würde keiner mehr arbeiten oder man bezeichnet das Grundeinkommen als Stilllegungsprämie. Bei einigen Grünen hat sich wie überall die Mentalität festgesetzt, jede Form von Unterstützung müsse an Bedingungen geknüpft sein. Ich kenne inzwischen drei EDV-Fachleute, die arbeitslos waren und gezwungen wurden, zwei oder drei Einführungskurse in EDV mitzumachen, weil sie sonst ihre Hartz IV-Zahlungen gekürzt bekommen hätten. Eines von vielen Beispielen. Das ist eine Form der Bevormundung, die der Autor Jens Bjoerneboe bereits in den 50er-Jahren in seinem schönen Buch „Der Mensch ist unsichtbar“ beschrieben hat. Das wird unseren modernen Verhältnissen nicht mehr gerecht.

Als Antwort darauf sind Sie seit Langem dabei, eine Grundeinkommens-Plattform innerhalb der Grünen aufzubauen. Wie schätzen Sie die Mehrheitsverhältnisse diesbezüglich ein?

Ich schätze, dass ähnlich wie bei der Linkspartei etwas mehr als die Hälfte der Basis inzwischen für ein Grundeinkommen ist. Nach wie vor ist jedoch eine große Anzahl des Führungspersonals offensichtlich nicht in der Lage, sich vom Denken in alten Strukturen zu befreien. Aber das ist auch das Schöne an der politischen Diskussion zum bGE: Zustimmung und Ablehnung sind nicht an Parteizugehörigkeit gebunden. Deshalb ist es auch folgerichtig, dass eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen als erste Landesregierung das Thema auf den Tisch bringt. Das ist natürlich eine echte Herausforderung. Aber eine gesellschaftliche Spaltungstendenz benötigt große Klammern in der Politik. Die Politik muss auch mal was wagen.

Auch die Grünen-Doppelspitze selbst ist nicht positiv in Bezug auf das Grundeinkommen?

Nein, Katrin Göring-Eckhart ist eine deutliche Gegnerin des Grundeinkommens und Cem Özdemir auch. Das ist auch völlig okay. Man darf auch dagegen sein. Zu den prominenten Befürwortern zählt Robert Habeck aus Schleswig-Holstein, der in seinem neuen Buch „Wer wagt, beginnt“ dem Thema ein ganzes Kapitel gewidmet hat. In einigen Grünen Landesverbänden gibt es aber bereits Beschlüsse pro bGE. Darunter sind Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg.

Wie sehen Sie die Chancen für das Thema bGE in einer Jamaika-Regierung auf Bundesebene?

Auf der politischen Alltagsebene würde ich sagen, die Chancen sind derzeit noch gering. Es gibt aber eine riesige Verbündete, und das ist die Schieflage des bisherigen Systems, das ja durch die Demografie noch zunehmen wird. Wer hätte vor einem halben Jahr gedacht, dass das Thema hier in Schleswig-Holstein derart Fahrt aufnimmt und bundesweit Aufsehen erregt? Sollte das Zukunftslabor bei uns zu einem guten Ergebnis führen, werden wir das Thema auch im Bund platzieren. Die Diskussion in der politischen Landschaft hat begonnen. Die Tür ist geöffnet und kann nicht mehr geschlossen werden. Die Landesregierung in Thüringen hat bereits mit Verweis auf Schleswig-Holstein ebenfalls ein solches Labor in Planung.

Was halten Sie von der Ein-Themen-Partei „Bündnis Grundeinkommen“?

Ich kann verstehen, dass viele Grundeinkommens-Befürworter aus dem Unmut über den momentanen Stillstand heraus dieses Projekt begonnen haben und das hat auch meine Sympathie. Wenn man das Ganze allerdings mehr politik-strategisch ansieht, muss das Bündnis natürlich aufpassen, dass es mit seinen schlechten Wahlergebnissen von jetzt 0,2 Prozent das Bedingungslose Grundeinkommen nicht blamiert. Außerdem fehlt natürliche jede Stimme, die für diese Mini-Partei abgegeben wird, genau jenen beiden Parteien, in denen Menschen offen für das bGE arbeiten. Denn die bGE-Vertreter sitzen in diesen beiden Parteien mehr in der zweiten Reihe und verlieren bei schlechten Wahlergebnissen ihre Mandate. Also, realpolitisch schwächt meiner Ansicht nach die BGE-Partei die schon vorhandene Dynamik der Idee bei den Grünen und den Linken. Wäre sie in der Lage, die öffentliche Diskussion sachlich fundiert zu erweitern, könnte das BGE sicher einen guten Beitrag leisten. Zur Konzeptdiskussion, die ja aussteht und um die es eigentlich inzwischen geht, sagt sie bisher eigentlich nichts. Das wird natürlich auch ein schwieriges Thema, das wir jetzt in unserer Koalition in Schleswig-Holstein ja angehen wollen. ///

Interview: Jens Heisterkamp. Das Interview erschien in der November-Ausgabe der Zeitschrift Info3. Kostenloses und unverbindliches Probeheft hier bestellen.