Die vor kurzer Zeit veröffentlichten Geheimdokumente offenbaren enge Connections zwischen den britischen Geheimdiensten und Gaddafi, deren Ziele das Ausfindigmachen sowohl von Terroristen als auch von Dissidenten gewesen sein sollen.
Der libysche Journalist Mustafa Fetouri, der mit der Angelegenheit vertraut ist, erklärte in einem Interview mit Sputnik, warum der britische Geheimdienst so lange mit Gaddafi kooperiert, am Ende ihn aber dennoch fallen gelassen habe.Laut Fetouri war Gaddafi für britische Sicherheitsbehörden lange Zeit ein Verbündeter, wenn auch nur „wegen sich ergebender Umstände“ – gemeint ist wohl die steigende Terrorgefahr.
„Man sollte nicht vergessen, dass Libyen zu dem Zeitpunkt die beste Datenbank (…) aller terroristischen Organisationen hatte, wie etwa auch der al-Qaida in Pakistan und Afghanistan, als Osama Bin Laden noch von den Vereinigten Staaten unterstützen wurde, um gegen die Sowjetunion in Afghanistan zu kämpfen“, erläuterte der Journalist.
So habe Libyen als einziges Land in den 1980er Jahren einen internationalen Haftbefehl gegen Bin Laden erlassen.
Lange Zeit hätte der Westen daher mit Gaddafi kooperiert, wenn auch nicht unbedingt mit Freude. Westliche Staaten hätten nie besondere Sympathien für ihn gezeigt, selbst als es ab 2004 zu einer erheblichen Annäherung gekommen sei.
>>>Mehr zum Thema: Auf freiem Fuß: Gaddafis Sohn appelliert an die Welt und die Libyer<<<
„In dieser Situation haben sie (die westlichen Geheimdienste – Anm. d. Red.) ihren Profit daraus gezogen, da sie Informationen über Terroristen, Terrororganisationen und über deren Verschwörungen erhalten haben“, so der Journalist.
Dennoch hätten sich die westlichen Länder von dem libyschen Staatschefabgewandt und ihn in einem Militäreinsatz gestürzt. Nicht zuletzt sei Großbritannien einer der wichtigen Staaten in der Anti-Gaddafi-Koalition im Jahr 2011 gewesen.
„Wenn Sie so wollen, dann hatte er (der Westen – Anm. d. Red.) immer einen ‚Plan B‘ gehabt. Sobald sie (die westlichen Staaten) die Möglichkeit gehabt hätten, ihn loszuwerden, hätten sie es ohne Zögern gemacht“, beschreibt der Journalist die ambivalente Einstellung westlicher Staaten.
Lange Zeit habe sich diese Möglichkeit nicht ergeben: „Die internationale Situation der damaligen Zeit ließ keine Schritte für die Zerstörung des Regimes zu“, so Fetouri.
Damals Terrorist – heute Lektor in Paris
Auch Gaddafi habe dem Westen nicht gerade vertraut. Dennoch hätten westliche Geheimdienste und der libysche Staatschef zum Vorteil beider Seiten lange Zeit kooperiert – etwa wenn es darum gegangen sei, Terroristen oder Dissidenten ausfindig zu machen und nach Libyen zu bringen, um sie in Gaddafis Strafsystem zu überführen.
Nun aber sei Gaddafi gestürzt und die ehemaligen Terroristen würden Wiedergutmachung fordern – und zwar vom Westen für die Verschleppungen im Auftrag Gaddafis. Nicht wenige dieser „Verschleppten“ würden bereits jetzt versuchen, Großbritannien dafür zu verklagen, so Fetouri.
Ein konkretes Beispiel hierfür wäre etwa Abd al-Hakim Balhadsch:
ehemals Terrorist, nun aber eine im Westen fast schon angesehene öffentliche Persönlichkeit.
- Exkurs: Balhadsch, auch unter dem Kampfnamen Abu Abdullah as-Sadiq bekannt, ist ehemaliger Anführer der Terrororganisation Libysche IslamischeKampfgruppe, nun aber ein libyscher Politiker sowie Diplomat der international nicht anerkannten Gegenregierung in Libyen.
„Balhadsch wurde ‚rehabilitiert‘ – zumindest in den Augen des Westens. Er ist jetzt ein angesehener Politiker, der widerspruchslos in Libyen zitiert wird“, erklärte der Journalist.
Er selbst sei verwundert gewesen, als der ehemalige Milizenanführer im Jahr 2012 nach Paris eingeladen worden sei, um Vorlesungen abzuhalten.
Nicolas Sarkozy und Muammar Gaddafi (Archivbild) – Ehemals wichtiger Partner, über Nacht Ziel für Militärintervention
„Das ist ein Terrorist mit einer sehr langen Geschichte auf seinen Schultern. Wenn sie bereit sind, das zu vergessen, dann sollten sie auch bereit sein, andere ähnliche Handlungen zu verzeihen und zu vergessen, darunter auch diejenigen, die sie selbst Gaddafi vorwerfen“, so das Urteil von Fetouri.
Genau deshalb ist es laut dem Journalisten überaus wahrscheinlich, dass Balhadsch in der Tat mit einer Entschädigung von der britischen Regierung rechnen könnte. Der Gerichtsprozess hierzu sei vermutlich bereits „in seinem letzten Stadium“.
*Die im Artikel dargelegte Sichtweise spiegelt ausschließlich die Meinung des Journalisten wider und muss nicht der Position der Redaktion entsprechen.
/NG/bb