Vergiftetes Erbe

Vergiftetes Erbe

28-06-18 02:11:00,

Kennen Sie den Juden Robert Emil Weichselbaum? Nein? Das ist nicht weiter verwunderlich. Dieser Jude war nämlich nie einer. Was die Nationalsozialisten in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts aber nicht weiter interessierte. Ihre absurden Rassengesetze konstruierten sich Juden, wo und wie es ihnen gefiel. Und weil der Vater des kleinen Robert Ignatz Weichselbaum hieß und in der Tat mosaischen Glaubens war, wurde aus dem Münchner Buben mit einer evangelischen Mutter ein Jude. Punkt.

Mit Sicherheit kennen Sie aber Robert Emil Lembke. Sie kennen ihn nicht als Juden, sondern als „Rateonkel“. Sie kennen seine Sendung, seine „Schweinderl“ und seine Fragen. Sie wissen vielleicht auch, aber sicherlich eher weniger, dass er, nachdem er die Kriegsjahre in diversen Verstecken überlebt hatte, beim Aufbau der „Neuen Zeitung“ – heute bekannt als „Süddeutsche Zeitung“ – tätig war. Zusammen mit Erich Kästner, Hans Habe und Stefan Heym.

Was Sie vielleicht schon wieder wissen ist, dass er ab 1949 zum Bayerischen Rundfunk wechselte. Dort arbeitete er als Hörfunkchef, als stellvertretender Chefredakteur und Leiter der Nachrichtenabteilung. Beim „Wunder von Bern“, der Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz, assistierte er Herbert Zimmermann.

1956 wurde er Chefredakteur des BR, 1969 Geschäftsführer des Deutschen Olympiazentrums und er war für die Rundfunk- und Fernsehübertragungen bei den Olympischen Spielen 1972 in München verantwortlich. Danach kamen noch andere Funktionen hinzu, aber das Jahr 1972 ist durchaus wichtig für die Geschichte, die ich Ihnen erzählen möchte. Ich wurde in diesem Jahr geboren. Drei Tage nach der Eröffnung der Olympischen Spiele.

Falls Sie sich wundern, warum ich mich für einen Nichtjuden mittlerer Statur, mit kahlem Kopf, in braven, meist in unauffälligen Brauntönen gehaltenen Anzügen interessiere, der panzerglasdicke Brillengläser brauchte, weil er sonst blind wie ein Maulwurf war, der ein Faible für hysterische Foxterrier hatte und das Image eines unpolitischen Urmünchners pflegte, der das Gestern genauso verschwieg wie alle anderen Deutschen, die sich durch die „Stunde Null“ in eine heile Welt entlassen sahen: Der kleine Mann war mein Großvater. Und ihm verdanke ich auch meinen Viertnamen: Olympia.

Ich weiß nicht allzu viel von diesem Mann. Er war vielbeschäftigt mit allen möglichen Dingen. Und ich mit meiner grenzenlosen Liebe zu ihm. Was wir immer schon teilten, war eine tiefe Zuneigung zu Büchern, zu Sprachen und zu Schweizerschokolade.

Was uns beide aber weit mehr eint,

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