14-10-20 10:08:00,
Das Denken „Ich bin klein, mein Herz ist rein und andere müssen mir sagen, wo es lang geht“ hat eine lange (christliche) Tradition. Das selbstbestimmte, eigensinnige Handeln war schon im Paradies nicht willkommen und hat Adam und Eva den Aufenthalt gekostet.
„Der Rest des Alten Testaments ist voll von Drohungen gegen all jene, die sich gegen Gott, der Blaupause aller autoritären Alleinentscheider, entschieden haben. Immer geht die Sache so aus: Einer entscheidet sich, nicht auf Gott zu hören, und fährt damit gegen die Wand oder direkt zur Hölle. Das Zweifeln bestimmt die Existenz, weil ihr Ausgang zu Selbstbewusstsein führt. Wer zweifelt, denkt. Wer zweifelt, existiert“ (1).
„Sollte uns Eva nicht als Vorbild dienen“, fragt Humberto Maturana. „Schließlich hat sie durch ihren Ungehorsam und ihre Rebellion gegen das göttliche Gebot die Basis für die Selbsterkenntnis des Menschen und sein verantwortliches Handeln gelegt“ (2).
Dennoch steuern mechanistische Denksysteme und Menschenbilder, die das Ideal des Gehorchens zementieren und vor Hunderten von Jahren entstanden sind, bis heute unser Denken, unsere (Selbst)Beziehungen und unser Handeln auf allen gesellschaftlichen Ebenen: in der Bildung, in der Wirtschaft, in der Politik, im Gesundheitswesen, in der Erziehung, um nur einige zu nennen.
Dass diese Denksysteme nicht nur überholt sind und aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen, sondern zutiefst schädlich und zerstörerisch auf uns Einzelne und unsere Gemeinschaft wirken, beginnt sich an den Rändern des Mainstreams herumzusprechen. Neue Erkenntnisse aus Gehirnforschung, systemischem Denken, der Kybernetik zweiter Ordnung und anderen Musterbrechern dringen allerdings nur sehr zögerlich in das gesellschaftliche Bewusstsein, besonders mühsam in das Denken der Entscheider in Wirtschaft, Politik und Verwaltung. Zu machtvoll wirkt das mechanistische, lineare Denken voriger Jahrhunderte, das Planbarkeit und Sicherheit vorgaukelt und die Pfründe der Besitzstandswahrer sichert. Aber die Zeit drängt zu einem umfassenden Paradigmenwechsel.
Das Denken, der Mensch sei von Natur aus ein fauler Sack, ein Dummkopf und Tunichtgut, der von außen angereizt und angetrieben werden muss, ist tief verwurzelt, steuert und dominiert unser Bewusstsein, unsere Haltungen und unsere Handlungen im Alltag — in Schulen, im Elternhaus, in Institutionen, in Unternehmen, an Universitäten, in der Politik, einfach überall.
Dieses Denken misstraut den inneren Potenzialen des Menschen zutiefst und folgt dem Glauben an die Wirksamkeit einseitiger Kontrolle sowie der Vorstellung, dass Menschen nicht nur formbar seien, sondern auch unbedingt geformt und erzogen werden müssten.