31-07-21 12:56:00,
Die Umprogrammierung meines Gehirns schreitet jeden Tag voran. Immer wieder entdecke ich einen weiteren unhinterfragten Glaubenssatz, der sich unbemerkt an all meinen Erkenntnissen zur Scheinwelt, in der ich bis vor ein paar Jahren lebte, vorbeischlich. Anarchie verband ich bisher mit Chaos und Gefahr, einem Zustand, den es absolut zu vermeiden gilt. Und nun stelle ich fest, dass ich eine Ultra-Anarchistin bin, da Anarchie — wie ich gleich zu Beginn der „Auf Augenhöhe“-Sendung zum Thema „Freiheit, Staat oder Anarchie?“ von Jens Lehrich erfahre — lediglich die Abwesenheit von Herrschaft bedeutet, also das Vertrauen, dass Menschen sich auch ohne Staat oder einen Chef organisieren und gut miteinander leben können.
Dass viele Menschen ein so negatives Bild von der Anarchie haben, könnte gewollt sein. Vergleichbar mit meinen Vorurteilen gegenüber Feminismus, Spiritualität und Vegetariern oder noch schlimmer — Veganern. Inzwischen sind all diese Bewegungen zu einem Teil von mir geworden. Ich erkannte, wie genial ihre Lösungsansätze für viele der durch den Neoliberalismus ausgelösten Probleme sind und zudem gefährlich für das herrschende System.
Ich sehe mir die zweieinhalbstündige Sendung vor allem an, weil Sven Böttcher und Jens Lehrich mit von der Partie sind, deren Beiträge mich immer wieder aufs Neue bereichern. Doch auch die Aussagen und der Humor der mir bisher unbekannten Teilnehmer Manuel Maggio, Tom Lausen und Peter Müller begeistern mich. Mein Horizont wurde einmal mehr ein ganzes Stück erweitert. Vor allem schöpfe ich nach Ansehen des Videos wieder neuen Mut, meinen individuellen Weg weiterzugehen, auch wenn viele meiner Mitmenschen einen anderen Weg wählen.
Trotz der entmutigenden Erkenntnis, dass die große Mehrheit der Bevölkerung einen starken Staat bevorzugt, haben die Gesprächsteilnehmer Auswege für den interessierten und freiheitsliebenden Zuschauer parat: die individuelle Ebene, ins Handeln kommen, seinen Fokus darauf legen, was wir aktuell machen, anstatt lediglich zu kritisieren, was es zurecht zu kritisieren gibt.
Tom Lausen geht sogar so weit, uns daran zu erinnern, dass sich die Dinge auch fügen. Eines nach dem anderen. Anstatt die große Utopie, den Wandel für die Weltbevölkerung anzustreben, können wir uns auf die kleinen Schritte besinnen. In ihrem Resümee stimmen Manuel Maggio und Peter Müller darin überein, dass ihre Erkenntnisse bei einem Individuum viel mehr fruchten als bei großen Gemeinschaften.
Die Grundfrage hinter all den „Auf Augenhöhe“-Sendungen heißt: „Wie wollen wir in Zukunft leben?“. Die traurige Wahrheit lautet allerdings: Kaum jemand stellt sich und anderen diese Frage,