04-12-20 03:39:00,
Ach, denkt die alte Frau nach einem längeren Spaziergang im Park, eine Bank wäre jetzt schön. Wie gut, überlegt sie weiter, dass gleich der Spielplatz kommt, wo es besonders viele Bänke gibt.
Doch die alte Frau hat Pech. Wegen des für die Jahreszeit ungewöhnlich warmen Wetters ist nirgendwo etwas frei, und so steuert sie kurz entschlossen auf die nächstgelegene Bank zu, auf der eine junge Frau sitzt. Dabei weiß die alte Frau genau, dass sie nach den derzeit festgelegten Regeln eigentlich gar nicht fragen sollte, ob sie sich dazusetzen darf. Aber was soll man machen, wenn einem die Beine wehtun, und so tut sie es doch.
Zu ihrer großen Erleichterung hat die junge Frau nichts dagegen und macht auch keine Anstalten, von ihr wegzurücken, obwohl beide keine Maske tragen. Auch das ist für die alte Frau ein ermutigendes Zeichen, aber sicherheitshalber belässt sie es nicht bei einem Dankeschön, sondern fügt hinzu: „Ich hoffe, dass ich Sie mit meiner Bitte jetzt nicht in Verlegenheit gebracht habe.“
Gänzlich unerwartet lacht die junge Frau kurz auf, aber es ist ein bitteres Lachen, das nach Resignation oder großem Kummer klingt. So ähnlich hört sich auch die Antwort der jungen Frau an, als sie sagt: „Du meine Güte, nein! Da machen Sie sich mal bloß keine Sorgen! Ich hab keine Angst vor einer Ansteckung, aber ich hab große Angst vor dem, was uns nach Corona blüht.“
„Wollen Sie damit sagen“, erwidert die von den heftig gesprochenen Worten leicht erschrockene alte Frau, „dass Sie die Maßnahmen für schlimmer halten als die Krankheit selbst?“ Noch während sie diese Frage stellt, merkt die alte Frau, dass sie heimlich auf eine Bestätigung hofft, weil das ihrer eigenen, aber von anderen zumeist nicht geteilten Sicht der Dinge entsprechen würde. Und sie wird nicht enttäuscht.
„Genau so isses!“, bejaht die junge Frau im Brustton der Überzeugung und fügt hinzu: „Ich bestreite ja gar nicht, dass es diese Krankheit gibt und dass Menschen daran qualvoll sterben können, aber wegen des Besuchsverbots müssen die Kranken jetzt auch noch völlig einsam sterben. Dabei steht noch nicht einmal fest, wie sinnvoll ein solch brutales Vorgehen überhaupt ist. Jedenfalls habe ich erst kürzlich gelesen, dass der für Covid-19 zuständige WHO-Gesandte schon Anfang Oktober in einem Interview sinngemäß gesagt hat, dass ein Lockdown höchstens in der Anfangszeit angebracht sein kann.